In meinem zweiten Beitrag über Mark Rothko möchte ich dir seine künstlerische Entwicklung aufzeigen. Verfolgt man Rothkos künstlerische Karriere chronologisch, erblickt man eine radikale Entwicklung über die Jahrzehnte hinweg. Malt Rothko in den 1930er Jahren noch figurativ mit Themen wie Landschaften, Stillleben, Portraits etc., befindet er sich bereits in den 40er Jahren in einer Übergangsphase und malt in den 50er und 60er Jahren die wegweisenden, reifen Werke für die er bekannt ist. Er wird dadurch zum Wegbereiter der Farbfeldmalerei und vertritt die Kunstrichtung des abstrakten Expressionismus. Zu seiner malerischen Entwicklung betont Rothko selbst, dass er die menschliche Gestalt nicht beseitigt, sondern durch Formen und Symbole ausgetauscht habe (hier geht’s zu Teil 1).

Nur Wenige wissen, dass sich Rothko intensiv mit den Themen Kunst(-geschichte) und Architektur auseinandergesetzt hat und dass dieses Verständnis der Kunst auch in seine Werke einfliesst. So studiert er beispielsweise die Mal-Techniken der alten Meister und trägt wie Tizian die Farben in Schichten auf. Auch auf seinen Europa-Reisen lässt er sich von Kirchen, Kapellen und Ausstellungen inspirieren.

«Mark Rothko blickte in einer Weise, wie es noch kein Maler je getan hatte, in die Vergangenheit zurück.» (John Berger, Kunstkritiker)

30er Jahre: Die realistischen Jahre

In seinen frühen Werken ist unter anderem der Einfluss von Rembrandt, Vermeer und Cézanne zu sehen, deren Werke er zunächst nur aus Büchern bzw. Ausstellungskatalogen kennt. So malt er beispielsweise mehrere Aktfiguren und Badegruppen, welche als traditionelle Thematiken Bezug nehmen zu Künstlern aus vergangenen Jahrhunderten wie Botticelli oder Tizian. Bereits Ende der 30er Jahre sind die Hintergründe in seinen Werken vermehrt abstrahiert und in Farbfelder unterteilt, was seinen späteren Stil vorwegnimmt.

40er Jahre: Die surrealistischen Jahre

Während der Kriegsjahre wandelt sich Rothkos Stil und seine Werke sind vermehrt symbolischer Natur und weniger realistisch. Er widmet sich mythologischen und religiösen Themen wie beispielsweise dem «letzten Abendmahl» (A last supper, 1941). Zudem werden Rothko und seine Zeitgenossen stark von der surrealistischen Bewegung aus Europa beeinflusst. Viele Surrealisten gehen zu dieser Zeit nach New York ins Exil. Rothko selbst sagt zu seinem Stilwandel später:

«Mit grossem Widerwillen wurde mir klar, dass das Figürliche meinen Zwecken nicht mehr dienen konnte» (Booklet zur Ausstellung im KHM Wien).

Die Übergangsjahre

Von 1946 bis ca. 1948 malt Rothko die so genannten Multiforms, in denen er alle Spuren der natürlichen Welt beseitigt. Diese Jahre stellen den Übergang zu seinen klassischen, abstrakten Werken dar. Die Farbe wird nun ausdrucksstark eingesetzt als Träger, wobei er anhand des Schichtprinzips seinen Gemälden eine immense Leuchtkraft verleiht. Er beschliesst, dass die Werke ohne Rahmen ausgestellt werden müssen, um die Beziehung zum Betrachter zu verstärken. Diesen Ansatz steigert er mit seinen immer grösser werdenden Werken. Zudem verzichtet er bewusst auf die Titel der Bilder und lässt sie ab sofort unbetitelt oder nummeriert. So liegt es nun an uns, den Betrachtern, seine Werke zu deuten.

50er Jahre: Die klassischen Jahre

Ab sofort nutzt Rothko bewusst Farbe und Grösse der Bilder, um die emotionale Wirkung auf den Betrachter zu erhöhen. Das markiert einen Wendepunkt in seinem Leben und ist die Geburtsstunde seiner frühen klassischen Werke. Leuchtende, pulsierende Farbfelder auf dünn bemalten Hintergründen entstehen – für die er bekannt ist und sich den Rest seines Lebens damit auseinandersetzen wird. Er navigiert zwischen Hell und Dunkel, Wärme und Kälte sowie einer intensiven Farbpalette, in der kräftige Gelb- und Rottöne dominieren. Inspiration holt er sich unter anderem von Henri Matisse (siehe Hommage to Matisse, 1954) und Joan Miró.

Die Seagram Murals (1958/59)

Rothko erhält den Auftrag eine Serie für das Four-Seasons Restaurant in New York zu erstellen. Das Restaurant befindet sich im berühmten Seagram Gebäude, das für die Bronfman-Familie, Erben eines Gin-Vermögens, entworfen wurde. Rothko erhält einen finanziellen Vorschuss und beginnt mit der Arbeit an den Gemälden. Nach seiner dritten Europreise und einem Besuch des Restaurants überkommen ihn jedoch Zweifel:

«Niemand, der solches Essen zu derartigen Preisen geniesst, wird jemals eines meiner Gemälde betrachten» (Booklet zur Ausstellung im KHM Wien).

Er gibt den Vorschuss zurück und behält die Gemälde, die sich heute im Tate Modern in London, im Kawamura Memorial Museum of Art in Japan und in der National Gallery of Art in Washington, D.C. befinden.

60er Jahre: Mark Rothko’s dunkle Jahre

In den 60er Jahren verdunkelt sich Rothkos Farbpalette. Vor allem die Farbe Rot in all ihren Nuancen verwendet der Künstler in seinen letzten Schaffensjahren häufig. Das Grossformatige behält er bei. Für seine späten Werke gibt Rothko genaue Anweisungen betreffend ihrer Installation und Beleuchtung. Sie sollen nämlich möglichst tief und nahe beieinander hängen, um den Betrachter zu umhüllen.

Sinnliches, emotionales Betrachter-Erlebnis oder die Kunst des menschlichen Dramas

Die Betrachtung von Rothkos Werken kann sehr unterschiedlich sein – es gibt Museumsbesucher, die weinen, wenn sie vor seinen Bildern stehen; es können somit tiefe innere Emotionen hervorkommen. Mich haben seine Werke nicht nur fasziniert, sondern vor allem auch entspannt. Es gibt Bilder, da wurde ich regelrecht hineingezogen und wollte gar nicht mehr raus. Rothko selbst wehrte sich stets gegen Interpretationen seiner Bilder, da für ihn das Erlebnis des Rezipienten im Vordergrund stand – die Verschmelzung von Werk und Betrachter, welche eine Symbiose bzw. eine sinnliche Erfahrung miteinander eingehen. Dieses Ziel ist ihm eindeutig gelungen.

„Wir bekräftigen unser natürliches, menschliches Verlangen nach dem Erhabenen, nach absoluten Emotionen. […] Wir entledigen uns des Ballastes der Erinnerung, der Assoziation, […]. Das Bild, das wir hervorbringen, ist so einleuchtend, […] das von allen, die es nicht durch die nostalgischen Brillengläser der Kunstgeschichte anschauen, verstanden werden kann (Barnett Newman, 1948, vgl. Baal-Teshuva, S. 10).“

Nachdem die Kunst zuvor Jahrhunderte lang von Europa dominiert wurde, kommt nun eine Zeit, in der die amerikanische Malerei die führende Rolle übernimmt und internationale Bedeutung erlangt. Viele Mitglieder des abstrakten Expressionismus werden berühmt, so neben Rothko beispielsweise Jackson Pollock, Willem De Kooning, Robert Motherwell und Barnett Newman. Pollock und De Kooning prägten dabei den Stilbegriff des Action-Painting, Rothko und Newman des Colorfield-Painting. Abgelöst wird diese Kunstrichtung anfangs der 60er Jahre durch den aufkommenden Stil der Pop-Art, welche unter anderem in Andy Warhol ihre Vollendung findet.

Das Kunsthistorische Museum in Wien hat einige Videos zur Ausstellung „Mark Rothko“ auf YouTube veröffentlicht. In diesem Video spricht Christopher Rothko über den Werdegang und das Vermächtnis seines Vaters :

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Hast du den ersten Teil meines Beitrages schon gelesen? Er befasst sich mit der Biografie von Mark Rothko.

Hier geht es zu meiner Podcastfolge: #3 Mark Rothko: Im Farbenrausch der Abstraktion. Podcast: Kunst & Knackig.

Bilderquelle: Eigene Aufnahmen (Kunsthistorisches Museum Wien, Rothko-Ausstellung, Juni 2019) sowie Website des Museums und aus dem Buch von Baal-Teshuva).

Literatur

  • Baal-Teshuva, Jacob: Rothko, Köln 2019.
  • Haag, Sabine/Sharp, Jasper: Mark Rothko. Ausstellungskatalog 2019, Kunsthistorisches Museum Wien, Wien 2019.
  • Website Kunsthistorisches Museum Wien: https://rothko.khm.at (2019)
  • Booklet zur Ausstellung 2019 im KHM, Wien.