Heute nehmen wir die Zeit der Renaissance unter die Lupe. Es ist eine Zeit grosser Künstler und Kunstwerke und eine Zeit tiefgreifender gesellschaftlicher und politischer Veränderungen. Wir schauen uns den Einfluss der Familie Medici auf die Kunst genauer an und machen am Schluss noch einen Sprung in die Moderne. Dabei versuchen wir die Renaissance mit einem «Queer Gaze» zu betrachten. Können wir die Epoche vielleicht sogar neu entdecken?
Die Renaissance: Ein kurzer Überblick
Wann war die Renaissance und was ist in dieser Zeit passiert? Es handelt sich um die Epoche, die etwa im 14. Jahrhundert in Italien beginnt und sich bis ins 16. Jahrhundert erstreckt, also ganze drei Jahrhunderte lang. Sie bildet den Übergang zum Mittelalter und wird von der Barockzeit abgelöst (anfangs 17. Jh. in Italien). Ihr Höhepunkt liegt im Quattrocento (15. Jh.).
Aus dem Französischen abgeleitet, wird sie angesehen als die Zeit der «Wiedergeburt». In der Renaissance findet eine Rückbesinnung auf die Werte und Errungenschaften der Antike statt – in Kunst, Architektur, Wissenschaft und Philosophie. Besonders wichtig dabei ist, dass der Mensch wieder ins Zentrum rückt. Eine humanistische Geisteshaltung kommt auf und der menschliche Körper wird erforscht.
Wie sieht es politisch aus? Europa ist geprägt von kleinen Stadtstaaten wie Florenz, Venedig oder Mailand, die ebenso oft miteinander verbündet wie verfeindet sind. Diese Konkurrenz fördert die Kunst. Jeder Stadtstaat will sich durch grossartige Bauwerke und Kunstwerke profilieren. Gleichzeitig sind die osmanischen Eroberungen eine Herausforderung.
Die Kirche ist zur Zeit der Renaissance extrem mächtig, aber auch gespalten. Es kommt im 15. Jh. zum berühmten abendländischen Schisma mit Papst und Gegenpapst in Rom und in Avignon. Auch später sind die Päpste oft Machtpolitiker oder Kriegsherren, die ihre eigenen Ziele verfolgen und teilweise sogar versuchen, über ihre Kinder eine Dynastie im Vatikan zu schaffen. Das bekannteste Beispiel ist hier die Familie Borgia. Viele Päpste treten aber auch als Kunstmäzene in Erscheinung, wie man noch heute im Vatikan eindrucksvoll sehen kann!
Und welche berühmten Erfindungen gibt es? In dieser Zeit gibt es viele relevante Erfindungen, jedoch verändert keine Erfindung unseren Umgang mit Wissen so grundlegend wie der Buchdruck. Die Erfindung der mechanischen Uhr ermöglicht uns wiederum eine präzisere Zeitmessung und verbesserte Navigationsinstrumente wie den Sextanten erlauben uns eine verbesserte Seefahrt, was wiederum den Handel beeinflusst.
Aber kommen wir zurück zur Kunst. Welche bekannten Künstler:innen gibt es in dieser Epoche? Hier gibt es natürlich einige Giganten! Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael sind vermutlich die Bekanntesten. Dann gibt es noch Botticelli, Tizian und in Deutschland Albrecht Dürer. Leonardo da Vinci ist nicht nur Maler, sondern auch Ingenieur, Wissenschaftler und Visionär. Seine Mona Lisa gehört wohl zu den bekanntesten Gemälden der Welt. Michelangelo Buonarroti ist ein Meister der Skulptur. Er erschafft die weltberühmte Pietà in Rom sowie das Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle. Raffael wiederum brilliert durch seine harmonischen und ausgewogenen Kompositionen und malt die Schule von Athen.
Natürlich gibt es auch Künstlerinnen, die zu ihrer Zeit wirklich berühmt waren, dann aber leider in Vergessenheit gerieten und erst in jüngerer Vergangenheit wiederentdeckt wurden. Oft lernten diese zuerst in den Werkstätten ihrer Väter ihr Handwerk, wie z.B. die Porträtmalerin Lavinia Fontana, die als eine der ersten Malerinnen eine Frau nackt darstellt, oder Sofonisba Anguissola, die für die spanische Königsfamilie arbeitet und in ihren späteren Jahren sogar eine eigene Werkstatt betreibt, in der sie andere Künstlerinnen unterrichtet.
Zudem gibt es in der Zeit der Renaissance viele bekannte Architekten und Schriftsteller. Filippo Brunelleschi ist hier eine Schlüsselfigur. Er entwirft die Kuppel des Domes in Florenz – eine technische Meisterleistung zu dieser Zeit und bis heute beeindruckend. Andrea Palladio beeinflusst mit seinen Villen und Palästen die Baukunst bis hin zu späteren Epochen wie den Klassizismus im 18. Jh. In der Literatur haben wir Dante Alighieri (Die Göttliche Komödie) und William Shakespeare. Zu den wichtigsten Denker und Philosophen dieser Zeit gehören Niccolò Machiavelli (Il Principe) und der Universalgelehrte Erasmus von Rotterdam.
Und wie hat sich die Kunst insgesamt entwickelt? Charakteristisch für die Renaissance sind klare, harmonische Proportionen und geometrische Strukturen. Die Harmonie in der Renaissance herzustellen ist wesentlich. Aber auch realistische Darstellungen, vor allem von Menschen und Tieren, spielen eine Rolle. Ich denke hier an die wunderbaren Tierdarstellungen von Antonio Pisanello.
Vor allem technische und stilistische Innovationen prägen diese Epoche. Die Anwendung der Zentralperspektive revolutioniert die Malerei. Plötzlich können Künstler Tiefe und Raum darstellen. Ein wichtiges Werk in diesem Zusammenhang ist Masaccios Fresko „Die Heilige Dreifaltigkeit“, das erstmals eine durchgehende Perspektive zeigt. Später wird die Darstellung von Licht und Schatten verbessert. Die sogenannte Chiaroscuro-Technik kommt auf, die Caravaggio im Zeitalter des Barocks perfektioniert.
Giorgio Vasari nennt die so genannte Sprezzatura, die berühmte Leichtigkeit, die von Künstlern der Renaissance gefordert wird, egal, wie anspruchsvoll die Aufgabe ist. Raffael war ein Meister darin. Er lässt alles so aussehen, als ginge es ihm leicht von der Hand – Michelangelo hat ihn dafür gehasst. Künstler und Architekten werden generell nicht nur als „Handwerker“, sondern auch als kreative Genies angesehen.
Doch wenn wir über die Renaissance sprechen, kommen wir an Lorenzo de‘ Medici (Il Magnifico) nicht vorbei. Warum ist er so wichtig?
Lorenzo de‘ Medici und sein Einfluss auf die Kunst
Lorenzo de‘ Medici ist einer der einflussreichsten Figuren seiner Zeit, ein genialer Politiker und Diplomat, der Florenz 20 Jahre lang regiert, ohne jemals ein offizielles Amt innezuhaben. Gleichzeitig ist er Dichter und Philosoph und treibt die Ideen der Renaissance selbst aktiv voran. Er ist ein grosser Förderer der Kunst und unterstützt sowohl den jungen Botticelli als auch den jungen Leonardo da Vinci.
In den ersten Jahren seiner Herrschaft ist er stark damit beschäftigt, den Einfluss und die Machtsphäre seiner Familie zu sichern und sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. In den letzten zehn Jahren vor seinem Tod erlebt Florenz jedoch eine stabile Blütezeit, in der Lorenzo viel Zeit und Geld investiert, um die Stadt zum Zentrum der schönen Künste in Europa zu machen. So kauft er um 1480 ein Grundstück beim Kloster San Marco, um in diesem Garten seine beachtliche Antikensammlung unterzubringen. Junge, talentierte Künstler können dort die alten Meister studieren und kopieren – darunter befindet sich der junge Michelangelo.
Ein «Queer Gaze» in die Renaissance: Die Epoche heute betrachtet
Wir machen einen Sprung in die Moderne. Die Kunstgeschichte hat in jüngerer Zeit neue Interpretationsansätze für einige Werke der Renaissance gefunden, denn natürlich hatte die Queerness einiger Künstler ebenso wie eine ausgelebte oder unterdrückte Sexualität einen Einfluss auf ihr Schaffen.
Seit einigen Jahren gibt es eine neue Sichtweise auf die Alten Meister insgesamt. Bisher wurde – aus unserer heteronormativen Gesellschaft heraus – auch nur heteronormativ auf die Epoche geschaut. Jüngere Kunsthistoriker:innen blicken vermehrt auf die berühmten Künstler und ihre Werke unter dem Aspekt der Queerness. Man schaut sozusagen mit einem Queer gaze darauf.
Zum Beispiel ist bekannt, dass Michelangelo eine enge emotionale Bindung zu Männern hatte. Insbesondere zu Tommaso de‘ Cavalieri, einem jungen römischen Adligen. Seine Gedichte und Skizzen deuten auf homoerotische Gefühle hin. Auch seine Skulpturen und Gemälde – etwa die monumentalen Männerkörper in der Sixtinischen Kapelle – feiern die männliche Form in einer Weise, die homoerotische Konnotationen haben können.
Natürlich gibt es auch andere Gründe für die Art wie Männer gemalt oder gemeisselt wurden. Schliesslich durften Frauen nicht nackt Modell stehen. Manche Künstler «gönnten» sich eine Prostituierte, aber generell konnten Frauen nicht so oft nackt betrachtet werden.
Auch Leonardo da Vinci wird mit Homosexualität in Verbindung gebracht. Man weiss von seiner engen Beziehung zu seinem jungen, männlichen Assistenten Gian Giacomo Caprotti (genannt Salaj). Seine anatomischen Studien und die Darstellung androgyn wirkender Figuren wie der Johannes der Täufer könnten als Hinweise auf seine Sexualität gedeutet werden. Eine Aufzeichnung aus Florenz beschreibt seine Festnahme aufgrund von Sodomie. Den Begriff der Homosexualität gab es damals nicht. Unter Sodomie verstand man deshalb Sex mit allem ausser mit der eigenen Ehefrau. Damals war es in der Regel Sex unter Männern. Leonardo da Vinci wird zusammen mit einem Medici Sprössling festgenommen, weshalb er schnell wieder auf freiem Fuss ist (Geld regiert die Welt…).
Es gibt bestimmte Motive, die häufig homoerotisch gedeutet werden. Der Heilige Sebastian ist eine solche Figur. Seine ikonische Darstellung als ein schöner, mit Pfeilen durchbohrter junger Mann hat Künstler über Jahrhunderte inspiriert. Einige dieser Darstellungen haben Interpretationen hervorgebracht, die mit Homosexualität assoziiert werden. Seit der Renaissance wird Sebastian oft mit einem betont schönen, muskulösen und jugendlichen Körper dargestellt. Die Betonung auf Ästhetik und Körperlichkeit überschreitet oft die Grenzen rein religiöser Darstellung und nähert sich der Verehrung des menschlichen Körpers. Der leidende, aber friedvolle Ausdruck des Heiligen, kombiniert mit seiner verwundbaren Nacktheit, vermittelt eine Mischung aus Schmerz und Schönheit, die besonders in der homoerotischen Ästhetik Anklang gefunden hat.
Heute werden diese Aspekte oft neu interpretiert und gefeiert. Viele zeitgenössische Künstler:innen greifen wiederum die queeren Untertöne der Renaissance auf und verarbeiten sie in ihren eigenen Werken. Ein Beispiel dafür ist der Künstler Kehinde Wiley, der klassische Motive z.B. von Tizian aufgreift und sie mit modernen, queeren Identitäten verbindet. Das zeigt, wie lebendig das Erbe der Renaissance ist. Die Epoche inspiriert und provoziert bis heute. Die Renaissance war eine Zeit der Neuerfindung und das bleibt sie bis heute.
Dieser Beitrag entstand zusammen mit Britta Kadolsky und Natalja Schmidt. Höre hier unsere gemeinsame Podcast-Folge „#19 – Die Renaissance: Kunst, Macht und Vielfalt einer epochalen Wiedergeburt“ an.
Bilder:
- Guido Reni © Städel Museum, Frankfurt (eigene Aufnahme)
- Albrecht Dürer, Rosenkranzfest (Detail), 1606-12 © KHM Wien (eigene Aufnahme)
- Albrecht Dürer, Sonnenweib und der siebenköpfige Drache, um 1497 © Graphische Sammlung ETH (eigene Aufnahme)
- Raffael Sanzio, Sixtinische Madonna, 1512-13 © Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Wikimedia)
- Raffael Sanzio, Schule von Athen, Detail © Vatikanische Museen, Rom (Wikimedia)
- Pisanello, Hund-Hase-Studie (eigene Aufnahme)
- Masaccio, Heilige Dreifaltigkeit, 1425-26 © Basilica Santa Maria Novella, Florenz (Wikimedia)
- Pisanello, Hl. Georg, Fresko (Detail), Sant’Anastasia, Verona (eigene Aufnahme)
- Giorgio Vasari, Portrait of Lorenzo de’ Medici, 1533/34 © Galleria degli Uffizi (Wikimedia)
- Michelangelo, Ignudo, 1511-12 © Albertina Museum Wien (eigene Aufnahme)
- Michelangelo, Männlicher Oberkörper, 1510-11 © Albertina Museum Wien (eigene Aufnahme)
- Leonardo da Vinci, Mona Lisa, 1503-06 © Musée du Louvre, Paris (Wikimedia)
- (Schule von) Leonardo da Vinci, Saint Jean-Baptiste, known as Bacchus, Detail, ca. 1510-1515 © Musée du Louvre (Wikimedia)
- Gianlorenzo Bernini, Hl. Sebastian, 1617 © Thyssen-Bornemisza Museum, Madrid (eigene Aufnahme)
Schaue dir auch unseren gemeinsamen Beitrag über Emotionen in der Kunst an: Das 1×1 der grossen Gefühle.