Emotionen beeinflussen uns in jeder Sekunde, auch bei einem Museumsbesuch. Hast du schon einmal geweint beim Besuch einer Ausstellung? Manchmal erlebt man im Museum eine ganze Gefühlsreise. Innerhalb derselben Ausstellung können die Emotionen sehr schnell wechseln. Da kann ich zuerst Freude empfinden oder über ein Kunstwerk staunen und dann plötzlich kommt Ekel oder Entrüstung hoch.
Unsere Emotionen beeinflussen wie wir ein Bild betrachten und wie wir den Besuch in Erinnerung behalten. Sind wir frisch verliebt, freuen wir uns über ein Bild, das ein Liebespaar zeigt. Sind wir gerade genervt von unserem Partner, finden wir dasselbe Bild sehr wahrscheinlich doof. Geht es dir auch so?
Was hat die Kunstbetrachtung mit unseren Emotionen zu tun?
Lass uns einen Sprung in die Welt der Emotionen machen und gemeinsam auf eine Gefühlsreise gehen. Wir schauen uns heute folgende Emotionen an: Liebe, Mitleid, Trauer, Verzweiflung, Entsetzen, Schreck, Ekel und Staunen. Oft gibt es zwei Perspektiven. Zum Beispiel bei Verzweiflung: Hier stellt das Werk einerseits die Emotion Verzweiflung dar, andererseits kann es uns durch seine realistische Darstellung durchaus zum Lachen bringen.
Diese Unterscheidung ist sehr wichtig. Ein ernsthaftes Thema kann uns manchmal zum Lachen bringen oder eben umgekehrt – wir können einen gut gemeinten Scherz in den falschen Hals bekommen. Und da sind wir schon beim wichtigsten Punkt angelangt. Dasselbe Bild kann für zwei Betrachter eine ganz andere emotionale Wirkung haben. Das Erlebte ist von unseren Erfahrungen und Erinnerungen abhängig. Wir fragen uns: Wie sehr hängt der Blick auf die Kunst von unseren Erfahrungen ab?
Die Liebe – alle Emotionen sind möglich. Eine Gefühlsreise.
Fangen wir bei der Liebe an. Sie kann so ziemlich alle Emotionen in uns hervorrufen – von Freude und Schmetterlingen im Bauch bis hin zur Verzweiflung und Trauer. Ich möchte dir die Geschichte von Pygmalion und Galatea erzählen. Sie stammt aus den Metamorphosen von Ovid. Pygmalion ist ein unglaublich begabter Bildhauer, wurde aber von den Frauen enttäuscht. Deshalb erschafft er eine (für sich) perfekte, weibliche Statue. Er verliebt sich unsterblich in sie und bittet die Götter sie zum Leben zu erwecken. Die Göttin Venus erhört seine Bitte und haucht der Statue Leben ein. Die beiden bekommen eine Tochter genannt Paphos. Nach ihr wird später die Stadt benannt.
Die Geschichte wird nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in Theaterstücken und in der Literatur durch alle Epochen hindurch immer wieder aufgegriffen. Besonders gefällt mir das Werk von Jean-Léon Gérôme. Der Künstler malt zwischen 1890 und 1892 mehrere Versionen des Themas. Er stellt den Moment der Verwandlung dar – also wie die Statue menschlich wird. Galatea ist oben bereits eine lebendige Frau und unten noch eine Skulptur. Die Farbunterschiede zwischen Haut und Stein sind einfach toll gemacht.
Doch was wäre passiert, wenn Venus Pygmalions Wunsch nicht erfüllt hätte? Wäre Pygmalion verzweifelt? Wir hätten bestimmt Mitleid mit ihm gehabt. Hier kommen wir sogleich zu den nächsten Emotionen.
Trauer und Mitleid: Ablenken oder Fühlen?
Bei den Emotionen Trauer und Mitleid fällt mir immer die Pietà von Michelangelo in Rom ein: Maria hält ihren toten Sohn Jesus auf dem Schoss. Auch einige Werke von Käthe Kollwitz fangen diese Emotionen gut ein. Eine Mutter hält ihren toten, erwachsenen Sohn. Eine wirklich ergreifende Skulptur von Kollwitz steht in Berlin in der Neuen Wache.
Der Heilige Sebastian von Gian Lorenzo Bernini erweckt in mir das Gefühl von Mitleid. Die Skulptur hat der Künstler im Jahr 1617 geschaffen für Kardinal Maffeo Barberini. Bei Bernini hat Sebastian das Martyrium schon erlitten und er sitzt beinahe bewusstlos auf einem Felsen. Ein Baumstamm scheint ihm Halt zu geben. Auf den ersten Blick weiss man nicht, ob er noch lebt oder nicht. Beim näheren Hinsehen entdecken wir auf seinem linken vorgestellten Bein die kraftvolle Modellierung der Muskulatur. Plötzlich sehen wir die Adern auf den Beinen und Armen und wissen, dass er noch lebt.
Bernini gelingt es, aus einem harten, leblosen Stein eine weiche, verletzliche Haut zu modellieren. Man könnte den Heiligen Sebastian fast mit Christus verwechseln, wären da nicht die zwei Pfeile in seinem Körper. Bernini nimmt deutlich Bezug auf die Pietà von Michelangelo. Gleichzeitig weicht er aber von den bisher bekannten Pietà Darstellungen bewusst ab.
Die Verzweiflung steht ihm ins Gesicht geschrieben
Das Paradebeispiel für die Emotion Verzweiflung ist das Selbstportrait von Gustave Courbet. Wir sehen das Gesicht eines Mannes, der sich mit beiden Händen die Haare rauft. Seine Augen sind weit aufgerissen, die Stirn in Falten gelegt und sein Mund offen. Courbet ist einer der Hauptvertreter des französischen Realismus. Der verzweifelte Mann ist wirklich realistisch dargestellt. Er starrt mich als Betrachterin direkt an. Zuerst weiss ich nicht, was er empfindet. Der Titel des Bildes gibt den Hinweis auf die Emotion. Die Lichtführung betont die Dramatik. Wie sieht dein Gesicht aus, wenn du verzweifelt bist? Hast du dich schon einmal im Spiegel betrachtet?
Entsetzen, Schreck und Ekel: Negative Ereignisse bewegen uns
Bei Entsetzen fällt mir immer der Schrei von Edward Munch ein. Dieser weit aufgerissene Mund ist der Inbegriff des Entsetzens. Der Schrei ist vermutlich das bekannteste Bildmotiv des norwegischen Malers. Es gibt sogar eine entsprechende Emoji. Munch verarbeitete in dem Motiv seine eigene Lebensangst. Man sieht, dass die Person auf dem Bild entsetzt ist. Andy Warhol hat das Motiv übernommen und in seinem typischen Stil gedruckt.
Entsetzen und Erschrecken liegen nicht so weit auseinander. Es gibt ein Bild von Caravaggio, da erschrecke ich mich jedes Mal, wenn ich es sehe und eigentlich will ich es gar nicht mehr sehen, da es in mir eine Mischung aus Erschrecken, Entsetzen und Ekel hervorruft. Es handelt sich um die Darstellung der Medusa. Ich mag Schlangen gar nicht und sie hat wirklich viele auf ihrem Haupt. Ihr Gesichtsausdruck… da fährt mir gleich ein Schauer über den Rücken. Geht es dir auch so? Die Medusa ist gruselig und grossartig zugleich gemalt. Sie wurde gerade von Perseus geköpft und wir sehen sie bei ihrem letzten Atemzug – das Gesicht voller Schmerz und voller Entsetzen.
Ein zweites Bild, das den Schmerz und das Entsetzen so intensiv darstellt, ist Guernica von Pablo Picasso. Es ist DAS Anti-Kriegsbild schlechthin. Es ist ein riesiges Bild: Fast 3,50 x 8 Meter, gemalt in grau, braun schwarz Tönen. Darauf sehen wir in kubistischer Manier gemalte Menschen und Tiere – manche schreien, manche weinen. Das Werk entstand 1937 als Reaktion auf die Zerstörung der spanischen Stadt Guernica durch den Luftangriff der deutschen Legion Condor. Picasso nimmt dies auf als Motiv.
Zum Abschluss möchte ich aber nochmals auf eine positive Emotion eingehen. Ich finde wir staunen viel zu wenig. Kleine Kinder staunen den ganzen Tag. Staunen lässt uns die Welt (neu) entdecken.
Die Kunst des Staunens – eine Lebenseinstellung
Das beste Werk, das Caravaggio meiner Meinung nach zum Thema Staunen geschaffen hat, ist der ungläubige Thomas. Da läuft mir ein leichter Schauer über den Rücken, wenn ich dem Finger von Thomas folge, der sich in die Wunde von Jesus reinbohrt. Als Betrachter:in ist man zwiegespalten zwischen Faszination und Ekel. Thomas selbst glaubt noch nicht ganz, was er da sieht. Er muss es mit seinem Finger überprüfen und geht mit dem Zeigfinger in die offene Wunde rein. In seinem Gesicht widerspiegeln sich Ungläubigkeit und Staunen. Die Lichtführung dramatisiert die Szene.
Kunst für Emotionen oder Emotionen für die Kunst?
Emotionen können also auf sehr verschiedene Weisen in Kunstwerken ausgedrückt werden. Der Künstler kann zum Beispiel bestimmte Motive oder Symbole verwenden oder dann durch Bildkomposition und Bildaufbau Emotionen bei uns hervorrufen. Das Material und die Textur spielen auch eine Rolle. Zuletzt noch der Bildtitel. Letztlich sind es die feinen Nuancen, die sich beispielsweise in den Gesichtern widerspiegeln.
Was ich persönlich interessant fände zu untersuchen, ist die Auswirkung unserer aktuellen Gefühlslage auf einen Museumsbesuch oder eben umgekehrt – wie beeinflusst ein Museumsbesuch meine Emotionen? Ich nehme an, dass wenn ich traurig bin und in eine Ausstellung gehe und dort traurige Bilder sehe, sich meine Stimmung verstärkt. Umgekehrt genauso bei Freude. Es wäre total spannend zu sehen wie sich meine Stimmungslage ändert, wenn ich zum Beispiel traurig bin und lustige Bilder sehe. Setzt sich dann die Freude durch? Ist die Traurigkeit (zumindest zeitweise) weg? Trostpflaster Museum quasi. Was denkst du?
Zuletzt möchte ich dich auffordern mehr zu Staunen 🙂
Dieser Beitrag entstand zusammen mit Britta Kadolsky. Höre hier in unsere gemeinsame Podcast-Folge «#17 – 1×1 der Gefühle: Emotionen und Kunst» rein.
Bilder:
- Der Schrei (nach Munch), Andy Warhol, 1984 © Haugar Art Museum (eigene Aufnahme, Wien)
- Pygmalion and Galatea, Jean-Léon Gérôme, 1890 © The Metropolitan Museum of Art (Wikimedia, public domain, open access)
- Pietà (Mutter mit totem Sohn), Käthe Kollwitz, 1937-39 (kleines Original) Neue Wache Berlin 1993 (vergrössert, eigene Aufnahme)
- Hl. Sebastian, Gian Lorenzo Bernini, 1617 © Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid (eigene Aufnahme)
- Der Verzweifelte, Selbstportrait, Gustav Courbet, 1841 © Privatsammlung (Wikimedia)
- Medusa, Caravaggio, 1597/98 © Gallerie degli Uffizi, Florenz (Wikimedia)
- Der ungläubige Thomas, Caravaggio, ca.1610 © Gallerie degli Uffizi (Wikimedia)
- Judith und Holofernes (Detail), Caravaggio © Palazzo Barberini, Rom
Schaue dir auch unseren gemeinsamen Beitrag über den «Lorbeer in der Kunst» an.