Heute machen wir einen Kultur-Ausflug in die Blumen-Halle von Augusto Giacometti im Amtshaus in Zürich. Was für ein farbenfroher Anblick, wenn man das Amtshaus – das heutige Polizeigebäude – in Zürich betritt. Niemand würde vermuten, dass sich in den Hallen eines ehemaligen Waisenhauses ein Werk von Augusto Giacometti verbirgt. Lass uns eintauchen in den leuchtenden Farbengarten – schade nur, dass er nicht duftet…

Vom Waisenhaus zur Polizeiwache

Augusto Giacometti (1877-1947) gewinnt 1922 den ausgeschriebenen Wettbewerb für die Gestaltung der 14 Gewölbekappen und 5 Wandbilder. Diese Ausschreibung war ein wichtiger Meilenstein in seiner Karriere. Von 1923 bis 1925 arbeitet er zusammen mit drei Gehilfen an der Halle in Zürich, in der sich zuvor ein Waisenhaus befand.

Das Waisenhaus wird 1765 erbaut und bereits 1771 ziehen die ersten Waisenkinder ein. Der Architekt Gaetano Matteo Pisoni (1713-1782) gestaltet die Hauptfassade in einem barock-klassizistischen Stil. In Solothurn erbaut er gleichzeitig die St.-Ursen-Kathedrale.

Doch um 1900 herrscht Raumnot in Zürich (daran hat sich bis heute nicht viel geändert…) und der Stadtbaumeister und ETH-Professor Gustav Gull (1858-1942, siehe Blogbeitrag über die ETH Zürich) schlägt der Verwaltung eine kühne Vision eines gigantischen Verwaltungskomplexes vor. Das Waisenhaus steht dem Projekt jedoch im Weg. Verwirklicht werden allerdings nur die Amtshäuser I bis IV. Nach dem Bau dient der einstige Keller des Waisenhauses neu als Haupteingang. Die Lichtverhältnisse sind aber miserabel – eine würdige Empfangshalle muss her.

Die Freskomalerei: Ein Lob auf das Handwerk

Für die Ausführung seiner Arbeit verwendet Giacometti die in der Schweiz noch wenig bekannte «Al fresco»-Technik. Diese Methode, bei der die Farbpigmente auf den noch feuchten Kalkputz aufgetragen werden, verleiht der Malerei eine einzigartige Leuchtkraft und lässt die Blumen für unser Auge als weichen Samtteppich erscheinen. Es entsteht eine beinahe dreidimensionale Tiefe, die den Raum in ein leuchtendes und zugleich beruhigendes Licht taucht.

Die Freskotechnik, die Giacometti verwendet, ist jedoch nicht nur wegen ihrer ästhetischen Wirkung bemerkenswert, sondern auch wegen des handwerklichen Könnens, das sie erfordert. Freskomalerei ist eine der ältesten und anspruchsvollsten Techniken der Wandmalerei, die bereits von Künstlern wie Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Rom oder von Giotto in der Arena-Kapelle in Padua (Cappella degli Scrovegni) genutzt wurde. Diese Technik erfordert jedoch eine schnelle und präzise Arbeitsweise, da der Putz schnell verarbeitet werden muss. Korrekturen und Übermalungen sind nicht möglich beziehungsweise nur durch Abtragen und Neuaufbau des Verputzes.

Giacometti rechnet mit einem Quadratmeter pro Person pro Tag, benötigt jedoch rund ein Drittel länger. Er gerät unter hohen Zeitdruck und weicht deshalb bei der Ausführung seiner Arbeiten in der Blumenhalle in Zürich teilweise auf die Secco-Technik aus. Im Gegensatz zur Al fresco-Technik wird hierbei auf den trockenen Putz gemalt, was eine einfachere Korrektur der Farben und Formen ermöglicht, jedoch nicht die gleiche Leuchtkraft erzielt und zu Problemen bei der Haftung der Farbschichten führt. Aus Kostengründen verzichtet Giacometti ferner auf das vorgesehene Gold. Doch was sehen wir?

Feuerwerk der Farben und ein Dach für den Menschen

Du siehst dekorative Fantasieblumen und zahnradartige Rosetten. Die Orange-Rot-Töne, die Giacometti verwendet, verwandeln den Ort in einen lebendigen Garten. Als Betrachter:in wirst du beinahe in eine andere Welt entführt. Mir hat es wahnsinnig Spass gemacht durch die kunstvoll verzierte Halle zu flanieren. Der Raum ist angenehm kühl und eignet sich besonders für einen Besuch in Zürich an einem heissen Sommertag.

Während die Blumenmuster die Decke farbig illuminieren, strahlen die Wände eher Ruhe und Erhabenheit aus. Der sechsstellige Zyklus stellt den Menschen, sein Bestreben und sein Geschick ins Zentrum. Die in der Halle dargestellten Wandbilder zeigen Berufe, die in Zürich wichtig waren: Handwerker:innen, Winzer:innen und andere Berufe, welche die Wirtschaft und das tägliche Leben der Stadt prägten. Schnitterinnen stehen beispielsweise für die Ernte und die Fruchtbarkeit des Landes; Steinhauer für eine wachsende Stadt.

Gegenüber findest du Berufe aus der geistlichen Welt (Astronom und Magier). Diese Gegenüberstellung von weltlichen und geistlichen Berufen spiegelt Giacomettis Interesse an der menschlichen Existenz und dem menschlichen Streben nach Erkenntnis und Ordnung wider. In seiner Kunst setzt er sich häufig mit der Frage auseinander, wie der Mensch seinen Platz in der Welt findet und wie er versucht, die Geheimnisse des Lebens zu entschlüsseln. So entdecken wir unter anderem auch den Lehrsatz des Pythagoras oder den Höhensatz des Euklids.

Giacometti: Avantgardist der Abstraktion

Durch diesen Grossauftrag wird Giacometti zu einem angesehenen Künstler. Mit der Jahrhundertwende ändert sich sein Stil und er ist heute bekannt als Pionier der Abstraktion in der Schweiz und als Meister des Symbolismus, der sich dem Jugendstil verpflichtet hatte.

Der Künstler gehört der berühmten Malerdynastie der Giacometti an, die aus dem Bergeller Bergdorf Stampa stammt. Augusto besucht die Kunstgewerbeschule in Zürich und lässt sich zum Zeichenlehrer ausbilden. Bevor er sich 1915 definitiv in Zürich niederlässt, lebt er in Paris und in Florenz.

Giacometti wird zurecht als Meister der Farben bezeichnet. Schon sehr früh entwickelt er sein eigenes Farbensystem. Er schreibt:

«Immer war es mir, als ob es ein Leben der Farbe an sich geben müsse, losgelöst von jedem Gegenstand.» (Fyler Amtshaus Zürich)

Erst nach seinem Tod wird bekannt, dass Giacometti Freimaurer war und seit 1919 Mitglied der Zürcher Loge Modestia cum Libertate. Vielleicht lässt sich seine verwendete Symbolik vor diesem Hintergrund etwas besser verstehen. Es ist jedoch schwer zu sagen wie weit seine Ideen sich dem Jugendstil oder den Freimaurern verpflichteten.

Blumenhalle in Zürich vereint Kunst und Polizei

Kennst du die „Blüemli-Halle“ schon (so nennen wir sie)? Wenn nicht, ist es höchste Zeit, diesen kulturellen Schatz in Zürich zu entdecken und sich von der Magie der Farben verzaubern zu lassen. Heute ist das Foyer berühmt als «der schönste Eingang zu einer Polizeiwache». Die Blumenhalle im Amtshaus in Zürich ist ein Raum, der die Sinne anspricht und gleichzeitig zum Nachdenken anregt. Wenn du die Gelegenheit hast diese kunstvoll verzierte Halle zu besuchen, solltest du dir die Zeit nehmen, die Farben und Formen auf dich wirken zu lassen und in die leuchtende Welt von Augusto Giacometti einzutauchen.

Literatur

Flyer: «Giacometti-Halle. Ein Kellergewölbe als leuchtender Farbengarten», Amtshaus I, Zürich. Stadt Zürich, Stadtpolizei. Version 06.2022.

Eigene Aufnahmen, Blumenhalle Zürich