Der Georgsaltar im Schloss Ambras bei Innsbruck stellt eine besondere Rarität dar, denn er vereint in seiner Darstellung die Ideen zweier Epochen – einerseits nimmt er mit seiner Funktion der Allansichtigkeit die Raumauffassung der Renaissance und andererseits mit seinem Flügelaltar mittelalterliches Gedankengut auf. Der heutige Beitrag geht genauer auf diese seltene Ausführung des Altars ein und beschreibt zuvor den Zusammenhang mit dem Schloss Ambras.
Schloss Ambras und seine gotischen Werke
Schloss Ambras wird vor allem mit dem Tiroler Landesfürsten Erzherzog Ferdinand II (1529-1595) in Verbindung gebracht, der die mittelalterliche Burg in ein Renaissanceschloss umbauen und seine eigene Kunstsammlung in speziell dafür vorgesehene Räumlichkeiten unterbringen lässt (u.a. die heute weltbekannten Rüst- und Wunderkammern). Somit entsteht im Schloss Ambras eines der ersten Museen der Welt. Dieses wird jedoch erst im Jahr 1880 offiziell in ein Museum umgewandelt und somit für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht (siehe auch Beitrag zum KHM Wien).
Spätgotische Werke wie der Georgsaltar sind im Schloss zunächst nur wenige vorhanden. Die Ambraser Sammlung gotischer Skulpturen geht auf die Zeit von Kaiser Maximilan I. (1459-1519) zurück, dem Urgrossvater von Ferdinand II. Doch während der Napoleonischen Kriege 1806 werden die Bestände des Schlosses mit denjenigen des Wiener Kaiserhauses zusammengeführt und so stammt rund die Hälfte der heute gezeigten spätgotischen Werke aus Tirol und die andere Hälfte aus Niederösterreich. Erst mit der Umwandlung des Schlosses in ein Museum werden die Bestände nach Epochen geordnet.
Heute präsentieren sich die spätgotischen Skulpturen im Erdgeschoss des ehemaligen Bergfrieds, der Ende des 13. Jahrhunderts errichtet wurde und als Zufluchtsort diente. Er gehört somit zum mittelalterlichen Bauabschnitt des Schlosses. Dadurch stehen die Exponate und die gegebenen Räumlichkeiten in einem zeitlichen Zusammenhang.
Der Georgsaltar – Konzeption, Provenienz und Datierung
Der Georgsaltar ist ein Auftragswerk von Maximilian I. und entsteht anfangs des 16. Jahrhunderts. Wird der Altar zunächst in der Georgskapelle am Südrand des Schlossparks aufgestellt, befindet er sich ab 1777 im Schloss selbst. Die Forschung nimmt an, dass er ursprünglich für einen repräsentativen Sakralraum gedacht war. Fest steht, dass er im Ambraser Kappelleninventar von 1696 noch nicht erwähnt wird und somit offenbar später ins Schloss integriert worden ist. Dank einer chemischen Farb-Analyse konnte das seltene Pigment ‚Flussspat‘ festgestellt werden, welches ausschliesslich für Tiroler Kunstwerke in der Zeit um 1500 verwendet wurde. Dies ermöglicht nicht nur den Hinweis auf die Provenienz, sondern auch auf die Datierung.
Der Altar selbst stellt eine Rarität dar, da er aus einem offenen Schrein mit einer freistehenden Figur besteht. Mit jeweils zwei gewölbten Flügeln an beiden Seiten ist er offensichtlich für eine Vorder- und Rückansicht konzipiert. Diese Kombination aus Allansichtigkeit und Flügelaltar ist äusserst selten, da man normalerweise beabsichtigte, die Flügel eines Altares zu schliessen. Aufgrund der am oberen Abschluss angebrachten Wappenschilde wird diese Möglichkeit von Anfang an ausgeschlossen.
Dank Stilvergleichen kann man heute die Ausführung des Altars zwei aus dem schwäbischen Raum stammenden Künstlern zuschreiben. Der Bildschnitzer Sebald Bocksdorfer erhielt nicht nur vom kaiserlichen Hof, sondern auch vom Tiroler Adel öfters Aufträge und war dementsprechend bereits zu Lebzeiten ein bekannter Künstler. Als Maler konnte man Sebastian Scheel identifizieren, welcher zuvor mit Bocksdorfer an einem Altar gearbeitet hatte und auch gelegentlich vom Hof Aufträge erhielt.
Die Darstellung des Schreins
Georg wird als Ritter in zeitgenössischer goldener Rüstung mit erhobenem Schwert dargestellt. Zu seinen Füssen erkennen wir den Drachen, dessen Schlund von einer Lanze durchbohrt wird, weshalb er sich unterhalb des Pferdes krümmt. Das Emblem des St. Georgsordens, ein rotes Kreuz auf weissem Grund, sehen wir am Harnisch des Pferdes. Links und rechts werden Felsvorsprünge dargestellt, wobei auf der einen Seite die bedrohte Prinzessin mit einem weissen Lamm und auf der anderen Seite zwei Bewohner in einer Burg zu sehen sind. Letztere, vermutlich die Eltern der Prinzessin, fungieren als Zuschauer, die dem Kampf Georgs mit dem Drachen beiwohnen. Mehr zur Geschichte von Georg findest du in meinem Blogbeitrag zur Kirche Sant‘ Anastasia in Verona.
Am oberen Abschluss des Schreines befinden sich die bereits erwähnten Wappenschilde, die das Schliessen der Flügel verhindern. Die Wappen auf der Rückseite des Altars sind nicht erhalten geblieben, jedoch erkennt man die dafür angebrachten Nagellöcher. Eine Holzanalyse im Jahr 1984 hat ergeben, dass für Flügel, Schrein und Predella das Holz des gleichen Zirbenstammes verwendet wurde, was darauf hindeutet, dass alle Teile von Anfang an zusammengehörten und eine Schliessung des Altares somit nie angedacht war. Es kann somit ausgeschlossen werden, dass der Schrein die Funktion eines mittelalterlichen Flügelaltars innehatte, bei dem die Flügel nur an Sonn- und Feiertagen geöffnet wurden.
Die Schäden an der Rückseite stammen aus jüngerer Zeit, als man versucht hat den Altar zu schliessen. Die Farben haben sich gut erhalten, wobei vor allem das prächtige Gold von Georgs Rüstung und dem Harnisch seines Pferdes ins Auge springt. Aber auch das farbige Muster des Drachens sowie die naturalistisch dargestellte Landschaft fallen auf. Die gezeigten Wappen ermöglichen es, den Altar in Verbindung mit Kaiser Maximilian I. zu bringen (Interessiert du dich für die Wappen des Georgaltars? Schaue dir das Buch von Margot Rauch an (keine Werbung)).
Die Heiligendarstellungen der Altarflügel
Auf den vier Altarflügeln sind insgesamt acht ganzfigurige Heilige zu sehen. Vorderes Flügelpaar, innen: Sebastian als vornehmer, junger Mann mit Pfeilen in den Händen und Palmzweig (1) und Achatius als Ritter mit Herzogshut, Palmzweig und Dornenast (2); aussen: Barbara mit Krone, Hostie und Kelch (3) und Katharina von Alexandrien als Königstochter mit Buch, Schwert, Rad und Krone (4). Hinteres Flügelpaar, innen: Maria auf der Mondsichel (5) und Ursula als Königstochter mit Palmzweig und Pfeilen (6); aussen: Christophorus, welcher das Christuskind über den Fluss trägt (7) und Florian, welcher ein brennendes Haus löscht (8).
Im Hintergrund sind vier der genannten Flügel, die Innenseiten bzw. Sonntagsseiten, mit Goldgrund hinterlegt. Darin widerspiegeln sich eingravierte Muster aus Früchten, Pinienzapfen, Girlanden etc. Die Werktagsseiten bzw. die äusseren Seiten der Flügel sind mit Landschaftsdarstellungen sowie einer Blattgirlande im oberen Bereich verziert. Die Predella zweigt vorne einen kreuztragenden Christus und hinten zwei Engel. Man geht davon aus, dass letztere das Schweisstuch der Veronika in den Händen hielten. Ferner vermutet man, dass sich in einigen Heiligendarstellungen Porträts der Habsburger verstecken könnten, jedoch sind dies nur Annahmen.
Altarthema – Verbindung zu Kaiser Maximilian I.
Nicht nur die angebrachten Wappen, sondern auch das dargestellte Thema des Altars weisen auf eine Verbindung zu Kaiser Maximilian I. hin. Sein Vater, Friedrich III., gründete 1467 nämlich den St. Georgs-Ritterorden gegen die wachsende Türkengefahr. Maximilian I. tritt diesem Orden im Jahr 1511 bei und fördert ihn nachhaltig. Der Orden widerspiegelt seine Idee des Kreuzzuges gegen die Türken, die er aus Europa vertreiben will. Ein weiteres Beweisstück, dass sich Maximilian I. mit dem heiligen Georg identifizierte, ist eine Eisenradierung von 1518, in dem sich Maximilian I. von Daniel Hopfer als heiligen Georg darstellen lässt.
Des Weiteren nimmt man an, dass die beiden Holzschnitte von Hans Burgkmairs mit demselben Motiv, Maximilian I. als Propaganda für seinen Kreuzzug dienten. Und wer eignet sich dazu besser als der heilige Georg, der nicht nur die Königstochter rettet, sondern gleichzeitig durch die Tötung des Drachens erreicht, dass sich die Heiden taufen lassen?
Weitere (spät-)gotische Werke, die sich im Bergfried befinden sind beispielsweise die Skulpturen Maria auf der Mondsichel, zwei Engel mit Leidenswerkzeugen Christi, die Apostel Bartolomäus und Andreas sowie Maria Verkündung.
Und um all diese besonderen Eindrücke zu verarbeiten, ist eine Jause mit Kaffee und Kuchen im wunderschönen Innenhof des Schlosses angesagt.
In diesem Video erfährst du mehr über die Geschichte des Schlosses Ambras:
Siehe dir auch meinen Beitrag zur Johannes-Kathedrale in Valletta an.
Bilderquelle: Eigene Aufnahmen vom Schloss Ambras sowie Website des KHM für Ganzansicht des Georgaltars (Bildrechte: Schloss Ambras Innsbruck)
Georgsaltar: Bildschnitzer: Sebald Bocksdorfer (?), Maler: Sebastian Scheel (?). Entstanden nach 1516 und vor 1519. Zirbenholz. Schloss Ambras, Innsbruck. Inv.-Nr. PA 212.
Literatur
- Hatje, Ursula: Knaurs Stilkunde. Von der Antike bis zur Gegenwart, München, Zürich 1963.
- Freigang, Christian und Schmitt, Jean-Claude: Hofkultur in Frankreich und Europa im Spätmittelalter, Berlin 2005.
- Rauch, Margot: Der Georgsaltar Kaiser Maximilians I. und die Sammlung spätmittelalterlicher Bildwerke auf Schloss Ambras, Kunsthistorisches Museum, Sammlungen Schloss Ambras, Innsbruck 1996.
- Wundram, Manfred: Renaissance, Kunst-Epochen, Stuttgart 2004 (Band 6).