An einem regnerischen Wochentag verschlägt es uns ins Schweizer Finanzmuseum in Zürich. Durch die übliche Zürcher-Rush-Hour kämpfend, habe ich bereits vor der Ankunft einen stark erhöhten Puls. Doch musste ich versprechen, pünktlich für die Führung dort zu sein. In letzter Sekunde betrete ich ein modernes Gebäude auf dem gross die Aufschrift SIX prangt und klein nebenan der Name «SCHWEIZER FINANZMUSEUM» zu lesen ist. Der Eingangsbereich gleicht eher einer abstrakten Schalterhalle als einem Museumsfoyer. Das gemütliche Café bemerke ich stressbedingt leider erst später. Das Ticket in den Händen haltend, stosse ich zur Gruppe und wir schreiten ein Stockwerk hinunter in einen grossen unterirdischen Raum.

Zuerst stechen mir die grossen, aneinandergereihten Bildschirme ins Auge, welche abwechselnd Namen und Zahlen, Nachrichtensprecher und Finanzcharts anzeigen. Beim zweiten Blick sehe ich diverse Apparate und Utensilien, welche sich rund um das Thema Geldtransfer und Handel drehen. Auch Bulle und Bär (Kennzeichen für schwache, resp. starke Börsenstimmung) sind präsent. Ausserdem fallen mir mehrere rote und graue Gebilde auf, welche ich zunächst für Sitzbänke halte. Doch weit gefehlt: Diese roten Gebilde beinhalten oben Glasscheiben, durch welche der Betrachter verschiedenste ‘Papiere’ betrachten kann. Für einmal handelt es sich weder um Portraits, noch um Gemäldeskizzen, sondern um Aktienzertifikate. Und da fällt es mir wieder ein: Es gab sie doch einmal, diese prä-digitale Zeit; als Menschen bzw. Trader noch kein iPhone und nicht einmal einen Computer besassen – eine Ära, in welcher diese Wertpapiere ihrem Namen buchstäblich gerecht worden sind.

Nostalgie-Feeling und reichlich verzierte Dokumente

Unvermittelt werde ich aus der Nostalgie wachgerüttelt als eine Besucherin plötzlich ruft: «Seht’ mal, Swissair». Als sensationslustiges Herdentier folge ich dem Ruf und sehe vor mir ein Wertpapier unserer einst prestigeträchtigen schweizerischen Fluggesellschaft, datiert auf den 17. April 1947 und auf speziellem, fälschungssicherem Papier gedruckt. Überrascht erspähe ich, dass der Preis dieser Aktie mit Fr. 500 in roter Schrift durchgestrichen und durch die Zahl 350 ersetzt worden ist. Ich bleibe als nächstes vor einer Obligation stehen, die einen Wert von über USD 100’000 hat und eine Laufzeit von 20 Jahren, fällig per 1976. Das Dokument ist reichlich verziert, mit Schnörkelschrift, dem Abbild einer weiblichen ‚Gallionsfigur‘ und einem Siegel versehen. Auf der rechten Hälfte erkenne ich einige Coupons, dem gedruckten Datum nach wohl halbjährlich einlösbar und mit einem Wert von je USD 1’750 versehen. Einige dieser Coupons wurden bereits abgeschnitten und somit vermutlich eingelöst. Die Restlichen wurden mit einem gut sichtbaren Loch gestanzt und sind damit wertlos.

Indizes und deren Berechnung

Die eigentliche Ausstellung beschäftigt sich mit Indizes und deren Berechnungen. Einige von euch mögen bereits einmal die Worte Dow-Jones-Index (korrekt: Dow Jones Industrial Average) gehört haben, stets gefolgt von einer gewissen Anzahl Punkten. Dieser setzt sich heute zusammen aus den Aktienkursen von 30 US-amerikanischen Titel. Die im Index enthaltenen Firmen wurden im Laufe der Zeit stets angepasst. Die letzte Änderung erfolgte im Jahr 2018 – dort wurde mit dem Rauswurf von General Electric der letzte seit den Anfängen enthaltene Konzern ersetzt. Erstmals eingesetzt wurde dieser Index im Jahr 1896, wobei die damals 12 Aktienkurse noch addiert wurden und die Summe durch 12 geteilt worden ist. Keine Bange – ich gehe nicht weiter auf die Berechnungen ein. Das Finanzmuseum erklärt für Interessierte (auch Nicht-Finanzer) verständlich, wie sich diese Indizes zusammensetzen, wann und aus welchen Gründen Änderungen erfolgten. Doch was ist der Nutzen eines solchen Index? Nun, sehr stark vereinfacht gesagt, wollte man damit Aktienschwankungen mit einem Richtwert beurteilen können. Wenn auch die Kritik an solchen Indizes und deren Gewichtung immer wieder laut wird, so haben sie sich in verschiedensten Märkten und Sektoren bis heute behaupten können. Abkürzungen wie SMI, DAX, NASDAQ, S&P500 und viele weitere entstanden über die Jahre.

30 Jahre SMI – historische Ereignisse und technische Entwicklungen im Schweizer Finanzmuseum

Die aktuelle Sonderausstellung 30 Jahre SMI des Finanzmuseums ist für jeden Erwachsenen einen Abstecher wert. 1988 ins Leben gerufen, verkörpert der Index bis heute den ersten und wichtigsten Schweizer Index. Dieser umfasst damals wie heute die grössten und liquidesten Aktientitel der in der Schweiz gehandelten Firmen. Bei der Führung werde ich zunächst daran erinnert, dass in dessen Geburtsjahr (1988) Céline Dion den Eurovision Song Contest für die Schweiz gewonnen hat und ich rechne mir aus, dass ich damals gerade mal ein Kleinkind war. Ein Blick auf die damals in den Index aufgenommen Firmen bringt mich ins Grübeln: Es stehen da Namen wie Pirelli, Jacobs Suchard, Ciba-Geigy, Sandoz, Holderbank und Schweizerische Volksbank. Hat sich in den letzten 30 Jahren wirklich so viel verändert? Mein Interesse ist geweckt und ich lese gespannt die Geschichte und Entwicklungen des Index. So schwanken über die Zeit nicht nur die Firmen, sondern auch die Anzahl der SMI-Mitglieder zwischen 18 und 29. Weitaus ‘schlimmer’ ist jedoch, dass die Börsenhändler, welche Aktien zuvor nur zu bestimmten Zeiten handelten, mit der Einführung des Index ihrer Mittagspause beraubt wurden. In Gedanken vollständig in die 80er Jahre zurückversetzt, schreite ich dem Wandpanel entlang und lese interessante Fakten über das Weltgeschehen und die wichtigsten Ereignisse der damaligen Zeit: Kollaps der Sowjet-Union, Bill Clinton wird schon wenig später Präsident etc.

Für 1993 folgt eine zweite Auflistung der zu jener Zeit im Index unterstellten Firmen. Es fällt auf, dass einige Namen wie die Schweizerische Volksbank nicht mehr aufgelistet sind – diese wurde von der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) übernommen. Anhand der alphabetisch sortierten Firmen und der bewusste Abdruck der damals aktuellen Logos fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt. Diese Auflistung in 5-Jahres-Schritten über ein lang gezogenes Eck ist wahrlich gelungen, denn mein Blick schweift ständig hin und her. Während einige Firmen in Fusionen auf- oder in Konkursen untergegangen sind, komme ich langsam aber sicher in die Gegenwart zurück. Ich erkenne die mir vertrauten Firmen und Logos wie ABB, LafargeHolcim, Novartis, Swiss Life, UBS und erfahre, dass im Jahr 2007 – auch aufgrund von Fusionen – die Titelzahl auf 20 begrenzt worden ist. Plötzlich meldet sich eine Dame und bemerkt, dass doch aktuell 21 Titel im SMI aufgelistet seien. Ironischerweise waren wir gerade an jenem Tag im Museum, als Alcon nach der Abspaltung von Novartis in den SMI aufgenommen wurde, um Julius Bär aus den Top 20 zu verdrängen.

Blick in die Zukunft? Die Spannung steigt.

Unser kompetenter Museumsführer gibt fundiert Auskunft über sämtliche Fragen zum SMI, dessen Berechnung und Veränderung. So erfahren wir, dass aus dem immer stärker gewordenen Trio Nestlé, Novartis und Roche ein Klumpen-Risiko im Index zu bestehen begann. Diesem wurde im Jahr 2017 mit einer Weisung entgegengewirkt, wonach kein SMI-Titel eine stärkere Gewichtung von 18% haben darf. Die Berechnung wird also auch in Zukunft – zumindest mir – nicht restlos geklärt bleiben. Wir philosophieren weiter, wie sich der SMI wohl in 5 Jahren zusammensetzen könnte: Werden sich die arg gebeutelten Banken weiter aus dem Index zurückziehen und nimmt dafür die Pharma-Industrie überhand? Es bleibt jedenfalls spannend.

Langsam schreite ich aus dem Untergrund wieder an die Tagesoberfläche, die Zeit verging wie im Fluge. Ich kann jedem einen Abstecher ins Schweizer Finanzmuseum empfehlen – den jüngeren Semestern lieber in Begleitung der Eltern, welche sich an die Aktien und ausgestellten Finanz-Instrumente wohl noch bestens erinnern und bei einem regnerischen Tag in wärmster Nostalgie schweben dürften…

Aktuelle Sonderausstellung: 30 Jahre SMI (noch bis Ende Oktober 2019)

Adresse: Schweizer Finanzmuseum, Pfingstweidstrasse 110, 8005 Zürich

Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10.00-19.00 Uhr

Dieser Trailer gibt dir einen kurzen Einblick in die Sonderausstellung:

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Bilderquelle: Schweizer Finanzmuseum, eigene Aufnahmen

Gastbeitrag von Yannick