Der legendären Route 66 entlang zu fahren – das war schon seit einiger Zeit unser Traum. Im Juni 2019 setzen wir diesen Traum um und erkunden die Mother Road – jedoch in umgekehrter Richtung, also quasi von ihrem offiziellen Ende in Los Angeles bis zu ihrer Mitte in Oklahoma City. Warum nur bis zur Mitte? Da dies der spannendere Abschnitt ist, was uns alle Freunde, die die Route 66 bereits bereist haben, bestätigen. Chicago können wir jedoch nicht auslassen, fliegen aber von Dallas dorthin (hier geht’s zum Beitrag).
“Get your kicks on Route 66” – doch wo ist sie bloss? Keine Strasse glorifiziert die Geschichte der amerikanischen Autokultur mehr als die «Highway of hope», doch sie erst einmal zu finden, bleibt eine stetige Herausforderung für uns. Oftmals wird sie komplett ersetzt durch die Interstate oder es heisst «next exit right» und dann «road closed». Das Sprichwort «Gras darüber wachsen lassen» bekommt hier auch eine neue, passende Bedeutung. In meinem Reisebericht beschreibe ich dir unsere Herausforderungen und Abenteuer und möchte dich für reale Visionen der aktuellen Route 66 inspirieren.
Ende bzw. Beginn der Route 66 in Santa Monica
Wir können es kaum erwarten ans Meer zu fahren und benehmen uns so ungeduldig wie zwei kleine Kinder. Zuvor müssen wir aber erst noch unser Auto am Flughafen abholen. Unser Frühstück vor Ort entpuppt sich schon einmal als Herausforderung, da wir nun wirklich keinen Bagel oder sonstige überzuckerte Brötchen wollen – und wo landen wir? Quasi im amerikanischen Denner bei einem SWISS Cheese Sandwich (derjenige, der den Käse ‘Swiss’ genannt hat, war offensichtlich noch nie in der Schweiz…) und einem Decaf Grüntee (what the…?). Danach folgt L.A. auf der Autobahn im Morgenverkehr, auch eine Herausforderung. Aber dann, endlich: Das Meer. Herrlich, schon früh morgens. Eine erste Entspannung setzt ein und wir schauen den Fischern und Surfern am Pier zu. Der Sand kitzelt unter unseren Füssen, doch das Meer ist noch zu kalt zum Schwimmen. Und hier an der Ocean Avenue beginnt bzw. endet sie, die legendäre Route 66 – The Mother Road wie sie auch genannt wird. Souvenir-Shops gibt es genug. Wir laufen aber in Richtung Restaurant und gönnen uns einen herrlichen Caesar Salad (nicht ganz billig in dieser Umgebung), gefolgt von einem Verdauungsspaziergang im Palisades Park – ein Paradies für Fussgänger und für Hedonisten.
Will Rogers State Historic Park (L.A.): Da wir Los Angeles schon von früheren Besuchen kennen, entscheiden wir uns stattdessen den Will Rogers State Historic Park zu besichtigen, quasi der Hausberg von L.A. mit Sicht auf die Stadt und auf das Meer (trotz Navi nicht ganz einfach zu finden). Der Park eignet sich prima für ein Picknick oder für eine kleine Wanderung (Trail zum Inspiration Point – Aussichtsplattform) und die Aussicht ist prächtig. Es erstaunt wie nahe Downtown L.A. und die Natur beieinander liegen.
Old Pasadena: Wir übernachten in Pasadena, ein kleines Städtchen – früher etwas ausserhalb von L.A. und ein guter ‘Startpunkt’ für die Route 66 – oder zumindest denken wir das. Old Pasadena lädt mit seinen Shops und Bäckereien zum Verweilen ein. Es gäbe noch viel zu sehen (z.B. die Huntington Library, Art Collections & Botanical Gardens), doch sind wir schon zu müde und am nächsten Tag gibt es einige Fahrstunden zu bewältigen.
Von Pasadena nach Kingman
Route 66 – gibt’s die überhaupt? Wer sucht, der findet, oder eben auch nicht. Also Touristenfreundlich ist das nicht, denn sie ist auf einzelnen Strecken entweder non-existent oder es heisst ‘road closed in ¼ mile’… Den ganzen Tag bleibt die Suche nach ihr eine Herausforderung und wir landen immer wieder auf der Autobahn. Auch das erste Sightseeing-Objekt in San Bernardino, nämlich den ersten McDonalds, suchen wir vergeblich. Deshalb geht’s via Crestline über den Cajon Pass. Es kommt Schweizer ‘Pass-Feeling’ auf. Die Strassen sind kurvig, relativ eng und heissen ‘St. Moritz Road’ oder ‘Zurich Drive’. Unser Heimatland scheint uns nicht loslassen zu wollen. Leicht erschöpft besichtigen wir bei gut 40°C Calico Ghosttown, eine verlassene Minenstadt, die schön renoviert wurde und heute mit Souvenirshops, einem Restaurant und diversen Snack-Läden ausgestattet ist. Zudem gibt es Minen-Touren – von denen wir aus Platzangstgründen aber absehen.
Anschliessend stärken wir uns mit einem amerikanischen Filter-Kaffee im berühmten Bagdad Café bei Newberry Springs, welches nicht nur an der Route 66 liegt, sondern auch gut auffindbar ist. Das Kaffee ist ein Pflichtstopp bzw. ein must see, denn jeder, der es besucht, schreibt seinen Namen auf (auf ein Foto, eine Geldnote, im Gästebuch etc.) und dieser wird dann an die Wand geheftet. Wir hinterlassen somit unsere ersten Spuren. Auf der Weiterfahrt bis Needles ist die Strasse geprägt von Ruinen und stehengelassenen, vor sich hin rostenden Autos (wohl das Markenzeichen für die heutige Route 66). Zuggleise führen parallel der Strasse entlang und wir staunen über die kilometerlangen Güter-Züge. Der Besuch in Oatman ist gleichsam witzig und bizarr, denn die kleine Stadt besteht neben Touristen hauptsächlich aus freilaufenden Eseln, die während der Goldgräberzeit dort gehalten wurden. Sie gibt schon fast den Eindruck eine Filmkulisse für eine Westernstadt zu sein. Nach dem Abendessen in Kingman wollen wir noch kurz durch das Städtchen schlendern und wundern uns, dass um 20Uhr wirklich niemand unterwegs ist. 10min später treffen wir drei Fussgänger an und siehe da – Schweizer!
Von Kingman nach Grand Canyon Caverns
In Kingman selbst gibt es vor allem eine alte Lokomotive (Santa Fe Railroad) und ein in die Jahre gekommenes Polizeiauto zu sehen, die auf dem Hauptplatz aufgestellt sind. Auf dem Weg nach Hackberry entdecken wir die bekannten Burma-Shave-Jingles – die Vorläufer der heutigen Werbetafeln. Der General Store bei Hackberry ist eine amüsante Wunderkammer und die vielen Oldtimer bringen Touristen zum Schwärmen. Vor Peach Springs verlassen wir die Route 66 und es geht ab zum Grand Canyon Skywalk – ein 21 Meter weit in den Canyon hinausragenden Rundweg mit Glasboden (Grand Canyon West Entrance). Der Colorado-River fliesst ca. 1100m weiter unten. Das klingt jetzt zuerst einmal nach einem Wow-Erlebnis, ist aber in Tatsache reine Abzockerei. Für 2 Personen kosten die 5min auf dem Steg nämlich schlappe 174 USD (die Aussicht neben an ist eigentlich genau dieselbe). Kommt hinzu, dass man sich zusätzlich einer Sicherheitskontrolle unterziehen muss und keine eigenen Fotos machen darf (die werden von Profis gemacht und kosten gute 25 USD extra). Entlang des Rims kann man auch nicht laufen, da Busse (Hop-on-hop-off Prinzip) für jegliche Transporte zuständig sind (es gibt 3 Stopps bzw. Aussichtsplattformen). Ganz ehrlich, wir bevorzugen den Grand Canyon South Rim Eingang, dort ist es um ein Vielfaches spannender. Wir fahren weiter und übernachten direkt im Motel der Grand Canyon Caverns.
Von Grand Canyon Caverns nach Flagstaff
Der Tag fängt super an: Wir frühstücken auf der Ladefläche unseres Dodge Rams und sehen dabei spielenden Hasen zu. Danach geht’s ab in die kühlen Caverns. Wir sind die einzigen Besucher und haben quasi eine Privattour, in der wir ein exklusives Hotelzimmer (oder Heiratssuite), ein prähistorisches Faultier (das in der Höhle verendet ist) sowie den früheren Notfall-Nahrungsvorrat der gesamten Umgebung sehen. Zurück auf die Route 66: Seligman besteht vor allem aus Souvenir-Shops und Restaurants. Zielstrebig suchen wir uns den einzigen Shop aus, der von einer Schweizerin geführt wird, was zur Ursache hat, dass wir uns über eine Stunde mit ihr unterhalten und unseren ersten Bohnenkaffee trinken (herrlich!). Bei Williams gibt es den wunderschönen Dogtown Lake, der wahrscheinlich ausser von uns noch nie von jemandem umrundet wurde (die Amis sitzen lieber den ganzen Tag dort und fischen und haben uns mit ihren Blicken wohl als sehr suspekt eingestuft…). Das sollte uns in der Schweiz einmal passieren – kein Mensch am Zürichsee…. Und so kommt es, dass wir einen Seeadler aufschrecken; sehr imposant. Der Wupatki National Monument Park eignet sich wunderbar für ein Picknick auf einer der vielen Aussichtsplattformen, welche den Grand Canyon in weiter Ferne zeigen (besonders schön bei Dämmerung). Zudem kann man verlassene, restaurierte Pueblos besichtigen. Auch der Sunset Crater macht seinem Namen alle Ehre und wir haben das perfekte Timing. Wunderschön kitschig, wenn sich die riesigen, schwarzen Lavamassen mit den rot gefärbten Wolken am Horizont vereinen.
Von Flagstaff nach Gallup
Wir sind schon früh auf, um den Meteor Crater zu beschreiten, der unweit von der Route 66 liegt. In unserem Guide steht, dass es eine tolle Rundwanderung gibt. Auf dem Parkplatz rüsten wir uns also mit unseren Wanderschuhen, Rucksack und Wasser aus und werden von den Amis schräg angeschaut, aber das ist ja nichts Neues. 5min später wissen wir aber warum, denn der Rundweg wurde permanent gesperrt und es gibt nur noch eine Aussichtsplattform. So verkürzt sich unser Aufenthalt um rund eine Stunde und wir fahren weiter zu den Twin Arrows (zwei überdimensionale Indianerpfeile). Das Städtchen Winslow bietet vor allem Souvenir-Läden an. In Holbrook gibt es gleich zwei Fotomotive: Das berühmte Wigwam Motel und die Trading-Post Figur.
Aber das absolute Highlight des Tages kommt erst noch: Der Petrified Forest National Park – ein versteinerter Wald. Hier in den Badlands glitzern die farbigen, versteinerten Bäume um die Wette. Wir können nicht genug davon bekommen und sind fasziniert. Mehrere Wanderwege (siehe Visitor Center, Scenic Drive, vor allem Blue Mesa Trail) führen an den noch erhaltenen Baumstämmen vorbei, die nach ihrem Absterben unter Vulkanasche und Sand luftdicht verschlossen, versteinert und somit erhalten geblieben sind. Nach mehr als 200 Millionen Jahren kommen die Bäume durch Erdbewegungen wieder an die frische Luft, doch das Holz wurde längst durch Mineralien ersetzt. Beim Verlassen des Parks sieht man rot, gelb, weiss und pink gefärbte Landschaften mit dem passenden Namen Painted Desert (besonders schön bei Dämmerung). Die Yellow Horse Trading Post in Lupton verpassen wir, da nichts angeschrieben ist, aber nach so einem langen Tag freuen wir uns umso mehr auf ein bequemes Motel-Bett und gönnen uns eine Packung Chips zum Abendessen (Teenie-Feeling).
Von Gallup nach Albuquerque
Heute fahren wir zum El Morro National Park und spazieren oben auf den Rocks. Auf dem Inscription Rock haben in den letzten Jahrhunderten bereits tausende von Reisenden ihre Namen hinterlassen (heute verboten). Dank einem natürlichen Wasserbecken wurde die Gegend oft als Raststätte benutzt. Hier begrüsst uns auch das erste Mal das berüchtigte Schild: Achtung Klapperschlangen! Weiter geht’s zum Bandera Volcano und der Ice Cave. Letztere ist total faszinierend, da man durch ein grosses Loch hinabsteigt und bei jedem Schritt merkt, wie es kälter wird bis man den kleinen gefrorenen See (bzw. eine etwas grössere Pfütze) erreicht. Innerhalb kürzester Zeit beträgt der Temperaturunterschied rund 40°C. Dank idealer Bedingungen bleibt die Ice Cave das ganze Jahr über gefroren. In Grants gibt es einen riesigen Autofriedhof und auf dem Weiterweg mehrere Pueblos zu sehen. In der Stadt mit dem unaussprechlichen Namen – Albuquerque – wollen wir eine Breaking Bad Tour machen, verpassen sie aber zeitlich und gönnen uns stattdessen im legendären Route 66 Diner einen Hamburger. Die Stadt selbst ist mässig interessant und wirkt auf uns eher klotzig und leblos. Etwas mehr Stimmung findet man im hispanischen Teil (Old Town Plaza).
Teil 2 zur Route 66 – von Albuquerque bis nach Oklahoma City – findest du hier. In Texas tauchen wir in den tiefsten wilden Westen ein, besuchen eine Rinder-Auktion und machen Bekanntschaft mit Überbleibseln der Vergangenheit. In Dallas tauchen wir ein in die Welt der Samurai…
Planst du nach Neuseeland zu gehen? Schaue dir meinen Bericht zur Südinsel an.
Bilderquelle: Eigene Aufnahmen