Im zweiten Teil meines Beitrags über die bekannten und unbekannten Loire-Schlösser flanieren wir im Märchenwald von Schloss Rivau, auf den Spuren von Franz I. im Schloss Azay-le-Rideau sowie in den wundervollen Gärten von Schloss Villandry, bevor wir die mittelalterlichen Gässchen von Tours und den imposanten Donjon von Loches entdecken. Gleichzeitig stossen wir auf die Mode der freigelegten Brust, welche Agnes Sorel eingeführt hat. Anschliessend schnuppern wir in Amboise die Luft, die bereits das grösste Genie der Geschichte eingeatmet hat – Leonardo da Vinci. In Chenonceau geniessen wir die romantische Atmosphäre eines Damenschlosses und im Schloss Chaumont sur Loire lassen wir uns von der Gartenanlage inspirieren und bestaunen die hundertjährigen Zedern. Lass dich verzaubern (hier geht es zu Teil 1 der Reise).
Tag 4: Château du Rivau – Château d’Azay-le-Rideau – Château de Villandry
Château du Rivau: Das Schloss von Rivau ist ein Geheimtipp – ein kleines mittelalterliches Schloss mit einem Märchenwald sowie einer wunderschönen Gartenanlage und einem Restaurant mit lokalen Speisen. Hier fühlt man sich kurz wie eine Prinzessin. Das Schloss ist noch im Privatbesitz und wir hatten die Ehre, von der Fürstin selbst, die übrigens gebürtige Österreicherin ist, durch die liebevoll eingerichteten Räume geführt zu werden. Die Fürstin unterstützt ferner zeitgenössische Künstler, welche ihre Werke in den Räumlichkeiten ausstellen dürfen. Bereits Jeanne d’Arc übernachtete im Schloss und nahm Pferde kurz vor der Belagerung von Orléans mit. Im Garten gibt es rund 450 Rosensorten sowie weitere geschützte und einheimische Pflanzen. Der Wald ist tatsächlich ein Märchenwald, denn Figuren aus verschiedenen Märchen sind dort aufgestellt. Im Shop werden hausgemachte Produkte angeboten.
Château d’Azay le Rideau: Seit über 150 Jahren wird es überall gepriesen als das schönste Renaissance-Schloss des Loire-Tals. Honoré de Balzac nennt es «einen geschliffenen Diamanten». Das Schloss Azay-le-Rideau vereint gekonnt französische Baukunst mit italienischen und flämischen Einflüssen und seine grazilen Konturen spiegeln sich im stillen See. Durch das symmetrische Gestaltungsprinzip wirkt alles sehr harmonisch. Von aussen eine wunderschöne Erscheinung. Von innen hat es mich jedoch weniger beeindruckt, denn die Atmosphäre wirkte trotz möblierter Räume auf mich eher kühl. Das Schloss gehört heute dem Staat und es war beim Zeitpunkt des Erwerbs komplett leer. Die Möbel werden erst aus anderen Sammlungen erworben, danach erfolgt eine Nachbildung der ursprünglichen Einrichtung im Erdgeschoss des Schlosses. Das wertvollste Gemälde zeigt Gabrielle d’Estrée, die Mätresse von Henri IV. Zudem kann man überall im Schloss das Wappentier von Franz I entdecken – den Salamander.
Château de Villandry: Das Schloss Villandry ist vor allem für seine riesige Gartenanlage bekannt. Hier lässt es sich bei schönem Wetter verweilen. Das Schloss selbst ist eher schlicht gestaltet und stammt aus der Spätrenaissance. Obwohl das Schloss fast zeitgleich zu Azay-le-Rideau erbaut wurde, hat es einen komplett anderen Stil, da die dekorativen Elemente fast alle weggelassen wurden. Die spanische Familie Carvallo, welche das Anwesen im Jahr 1906 übernimmt, verwandelt den Garten in eine Blüten- und Formpracht nach den Vorlagen der Renaissance-Gärten des 16. Jh. Insgesamt gibt es drei Ebenen: Auf der obersten Ebene befindet sich der Sonnen- und Wassergarten, auf dem Niveau des Schlosses befindet sich der Blumengarten und zuunterst der Gemüse- und Kräutergarten. Alles ist streng geometrisch geordnet. Die Arrangements im Liebesgarten symbolisieren die vier Arten der Liebe: Die Leidenschaftliche, die Zarte, die Unbeständige und die Tragische. Rund 10 vollbeschäftigte Gärtner pflegen diese Pracht. Ihre Arbeitsmethoden sind seit 2009 vermehrt biologisch.
Tag 5: Tours und Loches
Das Städtchen Tours mit seinen schmalen Gässchen und seinem mittelalterlichen Ambiente hat mir sehr gut gefallen. Der Place Plumereau lädt wunderbar zum Verweilen ein – eine Crêpe gefällig? Oder doch lieber ein Pain au Chocolat aus der Bäckerei nebenan, aus der es so gut duftet? Die Fachwerkhäuser stammen aus dem 15. Jh. Neben dem Stadtzentrum gibt es zwei interessante Kirchen zu sehen:
Cathédrale St-Gatien: Die Kathedrale St. Gatien wird in den Resten einer Römersiedlung gebaut und ehrt einen Bischof von Tours aus dem 3. Jh. Der romanische Vorgängerbau wird durch die gotische Kathedrale ersetzt, fertig gestellt wird die Kirche jedoch erst im 16. Jh. An ihr kann man wunderbar die Entwicklung der Gotik studieren: Die Frühgotik findet man im Altarraum, die Hochgotik im Hauptschiff und die Spätgotik an der reich verzierten Westfassade im Flamboyant-Stil. Im Inneren beeindrucken vor allem die Glasfenster und das Rosettenfenster.
Basilique St-Martin: Diese Kirche, die wir heute sehen, stammt aus dem 19. Jahrhundert. Die Krypta, in welcher der Heilige Martin ruht, stammt jedoch aus dem 5. Jh. Die Basilika wird mehrmals durch Brände zerstört und fällt später den Religionskriegen zum Opfer. 1797 stürzt das Gewölbe ein und lediglich der «Charlemagne»- und der Uhrenturm bleiben bestehen. Um die Verehrung des Heiligen Martin zu verhindern, wird eine Strasse gebaut und das Grab gerät bis 1860 in Vergessenheit. Nach seiner Wiederentdeckung entsteht ab 1887 die moderne Kirche im römisch-byzantinischen Stil, die mich etwas an meine Kirchenbesuche in Ravenna erinnert hat. Der Heilige Martin gehört zu den wichtigsten französischen Heiligen. Er wird 372 zum Bischof in Tours geweiht und nach seinem Tod im Jahr 397 entwickelt sich Tours dank seinem Grabmal und der Basilika Saint-Martin de Tours zu einer bedeutenden Pilgerstadt.
Loches: Die Stadt Loches liegt am Fluss Indre, in dessen Tal die einstige Verbindungsstrasse zwischen Amboise und Poitiers gelegen hat. Sie wird im Süden von einem monumentalen Donjon überragt, welcher im Jahr 1013 von Fulko III., Graf von Anjou, in Auftrag gegeben wird. Für die romanische Epoche ist der Donjon ein sehr gut erhaltenes Monument; bedenkt man, dass er mehrmals belagert wurde. Zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert dient er als Staatsgefängnis, in dem hochrangige politische Gefangene inhaftiert werden. Bis zum 20. Jahrhundert dient er als departementales Gefängnis und seit dem 21. Jahrhundert wird er nur noch von Touristen belagert. Beim Besuch der Gefängnisräume wurde mir aber doch mulmig zumute.
Im Norden der Stadt befindet sich die Logis royal – ein Wohnschloss für Könige und Herzöge. Die Bauphase der Logis royal zieht sich über fünf Jahrhunderte hin (11.-16. Jh.) und in dieser Zeit residieren bekannte Persönlichkeiten im Schloss, unter anderem Johanna von Orléans und Agnes Sorel. Nach der französischen Revolution wird auch dieses Gebäude als Gefängnis und als Gericht genutzt, bevor es für die Besucher geöffnet wird. Schmuckstück des ganzen Komplexes ist die Stiftskirche St. Ours, welche von Anne de Bretagne im gotischen Flamboyantstil errichtet wird. Das schöne Grabmal von Agnès Sorel befindet sich ebenfalls in der Kirche. Sie war die erste offizielle Mätresse des französischen Königs Karl VII. und führte als einflussreiche Persönlichkeit am Königshof die Mode der unbedeckten Brust ein (ein Skandal damals).
Tag 6: Amboise – Chenonceau – Chaumont sur Loire
Château d’Amboise: Als Wiege der Renaissance wird es bezeichnet – das prachtvolle Schloss in eindrucksvoller Lage in Amboise. Auf den Terrassen kann man vor der Besichtigung das wunderbare Panorama auf das Loire-Tal geniessen. Das Schloss Amboise war Aufenthaltsort und Wohnstätte vieler Valois- und Bourbonen-Könige sowie Schauplatz zahlreicher politischer Ereignisse – Hochzeiten und Geburten genauso wie Intrigen und Friedensedikte. Durch den Einfluss der Bautätigkeiten aus Flandern und aus Italien, entsteht in Amboise ein prächtiges Schloss im Stil der «ersten französischen Renaissance». Der Felsvorsprung selbst wird aber bereits im Neolithikum bewohnt und die erste Festungsanlage entsteht im 4. Jh. Massgebend beteiligt am Aus- und Umbau des Schlosses ist Karl VIII., welcher italienische Architekten und Künstler mit der Ausstattung der Räumlichkeiten und der Schöpfung eines Gartens im Stil der Gärten von italienischen Villen, beauftragt. Die Hauskapelle, Hubertus-Kapelle genannt, wird im gotischen Flamboyant-Stil errichtet. Sie ist ein must-see, da Leonardo da Vinci dort begraben liegt (bei meinem Besuch war die Kapelle leider gerade in Restauration). Leonardo da Vinci stirbt am 2. Mai 1519 in Amboise. Zuvor lebt der italienische Meister drei Jahre lang in Amboise und ist für Franz I. tätig als «erster Maler», Ingenieur und Architekt. Bei unserem Besuch des Schlosses brannte sogar ein echtes Kaminfeuer im grossen Saal. Besonders gefallen haben mir auch die innovativen Kapitelle. Übrigens: Von 1848 bis 1852 weilte der Emir Abd-el-Kader als Staatsgefangener im Schloss Amboise. Diverse Fotografien erinnern noch an diese Zeit (Eroberung von Algerien).
Château de Chenonceau: Château Chenonceau – auch das Damenschloss genannt, da berühmte Damen dort stets das Sagen hatten und dem Bau eine feminine Note verliehen. Erbaut wird das Schloss im 16. Jahrhundert von Thomas Bohier und seiner Gattin Katherine Briçonnet. Die Burg der Familie Marques wird dabei zerstört und nur der Burgfried und der Turm bleiben erhalten. Das romantische Renaissance-Schloss hat eine bewegte Geschichte. Die bekannteste Dame, die dort residierte, hiess Diane de Poitiers. Sie war die Mätresse von König Heinrich II., welcher ihr 1547 das Schloss schenkt. Diane war 19 Jahre älter als der König, der ihr scheinbar völlig verfallen war (man munkelt, sie sei für ihn nackt auf einem Schimmel geritten). Diane ist sehr intelligent und hat einen Sinn für Geschäfte. Sie lässt im Schloss Gärten anlegen, welche zur den spektakulärsten der damaligen Zeit gehören. Sie verleiht dem Schloss durch den Bau der berühmten Brücke über dem Fluss Cher eine weltweit einmalige Architektur. Katharina von Medici, die (eifersüchtige) Ehefrau von Heinrich II., verweist Diane vom Schloss gleich nach dem Tod ihres Mannes, nutzt es selbst als Wohnstätte und lässt die Galerie auf einer zweiten Etage erbauen. Bis heute sind die zwei Gärten vor dem Schloss nach den beiden Damen benannt. Weitere Damen wie Louise Dupin oder Marguerite Pelouze residieren und renovieren das Schloss. In den beiden Weltkriegen dient es als Krankenhaus. Heute erstrahlt es im neuen Glanz und ist wunderschön restauriert. Dies spricht sich leider schnell rum, so dass ich bei meinem Besuch aufgrund der sich durch die Räume wälzenden Menschenmassen wahrscheinlich den grössten Teil der Inneneinrichtungen übersehen habe. Gut geschulte Augen habe ich aber allemal – die Werke von Tintoretto, Veronese und Rubens habe ich gleich erkannt 😉 Sehenswert ist auch die Apotheke, die interessante Pülverchen und Tinkturen enthält. Ich fühle mich fast dazu verleitet, sie als Hexenküche zu bezeichnen.
Château Chaumont-sur-Loire: Die verwitwete Königin Katharina de’ Medici erwirbt 1560 das Schloss Chumont sur Loire, um ihre Rivalin, Diane de Poitiers, dorthin zu verbannen, da sie Chenonceau selbst bewohnen will, obwohl das Schloss eigentlich Diane gehört. Chaumont vermittelt mehr den Eindruck einer mittelalterlichen Festung und es fehlt die verspielte, liebliche Architektur von Chenonceau. Die beiden massigen Rundtürme müssen sich jedoch nie Kämpfen stellen, weshalb sie heute noch so gut erhalten sind. Der Ostflügel und der Südflügel sind im Stil der frühen französischen Renaissance erbaut, welche Charles II. in Auftrag gibt. Die Wendeltreppe erinnert an diejenige von Blois, ist jedoch früheren Datums. An der Eingangsfront sehen die Besucher die «Ds» und Jagdmotive, die auf Diane de Poitier erinnern. Als Prinz Amédée de Broglie im Jahr 1875 einzieht, lässt er die Stallungen renovieren, um Platz für seinen indischen Elefanten zu machen. Das Schloss gehört heute zum UNESCO-Welterbe und jedes Jahr findet hier das internationale Gartenfestival statt. Ferner finden sich Installationen zeitgenössischer Künstler auf dem Gelände. Besonders gefallen hat mir die Parkanlage mit ihren hundertjährigen Zedern und der kreativ, im englischen Stil gestaltete Garten. Die Gartenanlage ist jedoch noch relativ jung, denn bis 1884 steht neben dem Schloss ein Dorf, welches abgerissen und am Ufer der Loire wieder aufgebaut wird. Übrigens: In der Sattlerei befindet sich prachtvolles Pferdegeschirr vom Hersteller Hermès.
Teil 3 meiner Loire-Reise erscheint im Oktober. Hier geht es zu Teil 1 der Reise.
Übrigens: Halte unbedingt die Augen offen, wenn du diese Reise machst, es gibt so viele schöne Architekturelemente zu entdecken wie beispielsweise dieses Vogelnest an der Fassade in Chaumont; einige Schlösser beherbergen auch wertvolle Stundenbücher.
Hier noch ein kleiner Input zu den zwei wichtigsten Mätressen Frankreichs:
Agnès Sorel (1422-1450) ist die erste offizielle Mätresse eines französischen Königs und zwar von Karl VII. Zunächst als Hofdame tätig, wird sie 1444 zur Geliebten des Königs und schenkt ihm vier Töchter. Sie ist sehr einflussreich am Hof und führt die Mode der unbedeckten Brust ein. Nach der Geburt des vierten Kindes erkrankt sie jedoch schwer und stirbt im Alter von 28 Jahren. Bis heute ist ungeklärt, ob sie an einer Vergiftung stirbt oder nur an einer ärztlichen Fehlbehandlung.
Diane de Poitiers (1499-1566) verdreht König Heinrich II. den Kopf und wird seine Mätresse und Vertraute. Die beiden haben einen Altersunterschied von 19 Jahren. Sie umsorgt den König, organisiert sein Liebesleben (auch das seiner eifersüchtigen Frau) und wird zum Mittelpunkt des französischen Königshofes. Heinrich schenkt ihr Schloss Chenonceau, welches ihr jedoch nach Heinrichs Tod weggenommen wird und zwar von seiner Witwe, Katharina di Medici. Diane zieht sich auf Schloss Chambord zurück. Sie gehört bis heute zu den umstrittensten und interessantesten Frauen der französischen Geschichte.
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Bilderquelle: Eigene Aufnahmen